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Rezension: Virtuelle Welten als Basistechnologie für Kunst und Kultur?

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Virtuelle Welten als Basistechnologie für Kunst und Kultur?

Vor kurzem bin ich auf diesen vielversprechenden Titel des [transcript]-Verlages aufmerksam geworden. Noch mehr lockte mich dieses Buch, da ich mit Michael im Kunstkontext kürzlich unseren Beitrag “Am Rubikon zwischen Realität und Virtualität” im selben Verlag veröffentlichte.

Die Herausgeber und Autoren von Virtuelle Welten als Basistechnologie für Kunst und Kultur? stellen sich die Frage, inwiefern das Holodeck von der heutigen VR/AR-Technologie entfernt ist, ob es jemals Wirklichkeit wird und wie VR/AR-Technologien in der Kunst bereits Anwendung finden bzw. Potentiale bergen.

Die Herausgeber Manfred Bogen, Roland Kuck und Jens Schröter beschäftigen sich schon länger mit Virtual Reality sowie deren Anwendungsgebiete, was u.a. an der Auswahl der hochkarätigen Autoren und deren Artikel zum Ausdruck kommt. In 10 Beiträgen bringen 18 Autoren Einblicke in die aktuelle Forschung. Zu begrüßen ist die substantielle Auseinandersetzung mit Raumkonzepten und Methoden aus der Kunst, Räume perspektivisch darzustellen. So beginnt Gundolf Winter mit einen kunsthistorischen Einstieg in die italienische Wandmalerei und der Vermessung der Zentralperspektive nach Albrecht Dürer. Er legt die Grundlagen für die Raumkonstruktionen, um mobile und immobile Betrachter anzusprechen. Dies diskutiert er an dem Deckenfresko von Andrea Pozzo und dem Trinitätsfresko von Masacio.

Im darauffolgenden Artikel nähert sich Jens Schröter systemtheoretischen Überlegungen nach Luhman (siehe auch Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt a. M., 1995). Bei seinen Getrachtungen geht es ihm um die Ästhetik. Seine Überlegungen widmen sich der Parametrisierung der Überlappung von vrituellen und physischem Raum, was er an der Arbeit “The Golden Calf (1994)” von Jeffrey Shaw zeigt.


Er stellt die Frage, inwiefern die Realisierung des perfekten Holodecks überhaupt Sinn macht? Er ermutigt, an den Grenzen der Überschneidung zwischen virtueller und physischer Realität zu spielen, um Atmosphäre und Ästhetik zu erzeugen.

Hier knüpft Steffie Beckhaus, Professorin für Informatik an der Universität Hamburg, mit dem Beitrag über “intuitive, reichhaltig und freudvolle Schnittstellen” nahtlos an. Sie stellt den ChairIO und die Sushi-Synthese mittels der Granulat-Synthese vor, um haptisch erlebbare Ereignisse an der Mensch-Maschinen-Schnittstelle zu erfahren.

Das Autorentrio Mario Doulis/Doris Agotai und Hans Peter Wyss liefert mit dem radikalen Konzept des Spatial Interface eine neue Vorstellung des Interfaces-Begriffs:

” … In der Post-PC Ära werden Computer- und Netzwerktechnologie zunehmend in räumliche Kontexte integriert …”

Ähnlich wie wir, sieht das Team in der Zukunft scheinbar gesellschaftsrelevante Konvergenzen aus Virtual Reality, Mobiles Internet / Mobile Devices und Augmented Reality.

” … Das Spartial Interface wird zum Raumkonstrukt, in dem die strikte Grenze zwischen Mensch und Maschine, Alltagsgegenstand und Schnittstelle, Infrastruktur und Interaktion aufgehoben wird – sowohl technisch, als auch in der Wahrnehmung des Betrachters ..”

Dr. Christian Spies, Assistent am kunsthistorischen Seminar der Universität Basel, widmet sich im nächsten Beitrag des Buches dem Konzept Bild und Raum. Er untersucht historische Darstellungen von Galerieräumen und die Rekonstruktion des Dresdner Zwingers (Dresden Gallery) in Second Life u.a. unter dem Aspekt des mobilen und immobilen Betrachters. Darüber hinaus betrachtet er das Wirken von Kunstobjekten im physischen Raum am Beispiel Robert Morris (Green Gallery, 1994) und El Lissitzky (Abstraktes Kabinett, 1926). Hier arbeitet er die veränderte Wahrnehmung von Kunst im physisch Raum heraus am Beispiel der Installationen von El Lissitzky:

“… Einige Wandteile sind zudem mit einem Lamellensystem versehen, bei dem dünne Metallstreifen an die Wand montiert sind, die auf der einen Seite Weiß und auf der anderen Seite Schwarz lackiert sind. Bewegt sich der Betrachter vor diesem Lamellenstrukturen, dann verändert sich die Farbe an der Wand mit jeder Bewegung …”

Leider verpasst er an dieser Stelle den naheliegenden Vergleich, der im virtuellen Raum durch die Detektion der Avatarposition möglich ist und die damit veränderbare Gestalt des Kunstobjektes in Second Life, wie dies bei Installationen in der CrossWorld Gallery oder auf Odyssey in Second Life beobachtbar ist.

Das nächste Autorentrio Markus Wacker / Mattias Lehmann / Ralph Stelzer zeigt Kunst unter Verwendung der CAVE (CAVE Automatic Virtual Environment) an der TU Dresden. Die CAVE an der TU Dresden gehört zu den modernsten 5-Seiten-CAVEs’s in Europa. Der Betrachter kann sich frei in der CAVE bewegen. In diesem Projekt sieht der Betrachter in der CAVE weiße Kugeln, die im Raum “schweben”. Sobald der Betrachter mit dem Kopf in eine Kugel eintaucht, also die Kugeloberfläche durchdringt, sieht er eine eigene Kunstwelt, die er explorieren kann, quasi eine Welt (Kugel) in der Welt (CAVE) in der Welt (physische Realität). Das Kunstprojekt, mit dem an der Internetplattform angelehnten Namen MySpace, kann an der TU Dresden in der CAVE nach Apsprache von Terminen besichtigt werden.

Unter dem Titel “Interaktion in virtuellen Welten” stellen Tim Jansen und Roland Kuck eine AR-Anwendung vor, mit der es möglich ist an virtuellen Skulpturen kollaborativ zu arbeiten. Zum Einsatz kommt das AVANGO VR/AR-Framework in Verbindung mit dem vom Fraunhofer IAIS entwickeltem Multi-Viewer-Display TwoView. Das TwoView-System des IAIS ermöglicht das exakte kollaborative Zusammenarbeiten in virtuellen 3D-Räumen.

Die anschließende Zusammenfassung der Bachelorarbeit “Die Begehung virtueller Realitäten” von Cornelius Weidner unter der Betreuung von Prof. Dr. Ralf Steinmetz und Dipl.-Ing. Rolf Kruse beschreibt einen Lösungansatz der in 3 Monaten realisiert wurde, was beachtlich ist. Für das Wahrnehmungstracking zur perspektivischen Steuerung der Scene kamen zwei Infrarot-Kameras und ein optisches 6-DOF-Tracking-System zum Einsatz (six degree of freedom, sechs Freiheitsgrade). Der mit den Infrarotkameras verbundene Tracking-PC überträgt die Daten an einen Render-Laptop, welcher auf dem Rücken des Betrachters getragen wird. Die errechnete Szene wird dann über ein Head-Mount-Display wiedergegeben. Offensichtlich eine günstige Lösung. Die Anwendung selbst dient der Exploration und (inoffiziellen) Wahl der neuen 7 Weltwunder. Interessant wären hier weitere Information über die Kosten für die Geräte gewesen. Leider wurde sich hierzu nicht geäußert.

Der Zusammenfassung der Bachelorarbeit folgt ein äußerst anspruchsvolles Projekt, nämlich die virtuelle Rekonstruktuion und Exploration der historischen Schlossanlage Dillenburg die nach der französischen Besetzung am Ende des Siebenjährigen Krieges vollständig zerstört wurde (Projekt 2007, Bildarchiv, Autorentrio Severin Todt, Rezk-Salama, Andreas Kolb). Aus Basis historischer Schriften und Zeichnungen in enger Zusammenarbeit mit Historikern wurde das Schloss virtuell rekonstruiert. Technisch geschah dies mit Autodesk Maya™ 8.0. Aus dem 3D-Daten wurde zum einen eine DVD produziert als auch eine Installation im Museum Dillenburg, mit der man das Schloss interaktiv explorieren kann. Hierzu kam die Echtzeit-Rendering-Engine OGRE (Object-Oriented Graphics Rendering Engine, Open Source ) zu Einsatz. Sehr interessant wäre hier ein Bezug zum Second Life Projekt (Zwinger, Dresden Gallery) gewesen. Sicherlich sind die Anforderungen, Erwartungen und Ansprüche bzgl. der historischen Rekonstruktion ungleich der Darstellung des Dresdener Zwingers, dennoch wäre er aus vielerlei Hinsicht interessant gewesen, z.B. Projektdauer der reinen Modellierungszeit, Kosten, Qualität, usw. Eine virtuelle Dependance des Schlosses Dillenburg in Second Life würde mich zu einem reizvollen Besuch von zu Hause via 3D-Internet einladen. Zudem gibt es hier bereits Vergleichswerke (siehe Holocaust, Geschichtsunterricht, Historische Karten ).

Das Buch schließt überraschend ab mit einem Artikel über Prozedurale Modelle von Roland Kuck, Matthias Krauß und Gerold Wesche. Hier geht es um die generische Erzeugung von Modellen, u.a. wird hier auf die Reduzierung von Laufzeitkosten eingegangen. In dem Artikel fehlt eindeutig der Hinweis auf die Multimedia-Avant-Garde, die seit den frühen 90ern intensiv mit prozeduralen Modellen arbeitet. Um die Arbeit der bekannten Künstlergruppe farbrausch an dieser Stelle explizit zu würdigen, zeige ich hier die Gewinnerdemo der Breakpoint 2007. Der ausführbare Code arbeitet mit prozeduralen Modellen und hat unter 200kb, um genau zu sein 179kb, herunterladbar hier!




Fazit

Insgesamt spricht das Werk ein topaktuelles Thema an, dass uns mit Sicherheit in der Zulunft begegenen wird: Virtuelle Welten als Basistechnologie für Kunst und Kultur!

Die Autoren weisen auch darauf hin, dass Technologien wie Virtual Reality / Augmented Reality zu wenig Anwendung in der Kunst finden und arbeiten dabei auf Basis solider Grundlagen duch die Betrachtung von Wahrnehmung-, Raum-, Intrerface- und Wirklichkeitskonzepten auf die Potentiale hin. Das Buch ist lesenswert, obwohl mit für den interessierten Leser der betriebswirtschaftliche Bezug fehlt. Zwar haben diese Betrachtungsweisen nicht unbedingt etwas in der Kunst zu suchen. Dennoch denke ich aber, dass man es hier ansprechen darf, denn die Werkzeuge, um hier Kunst zu schöpfen, sind ungleich kostenintensiver als klassische Mittel. Eine CAVE beispielsweise ist deshalb nur sehr wenigen Künstlern für die kreative Entfaltung zugänglich.


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